Die Corona-Pandemie hat uns über Nacht in neue Wirklichkeiten gebeamt – auch im Arbeitsleben. Wesentlich weniger Büroaufenthalte, abnehmende Pendlerfrequenzen, damit verbunden die starke Zunahme von Homeoffice, dies eröffnet neue Chancen auf Flächenumverteilung und Freiflächenschutz.
Für den Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) Regionalverband Stuttgart ist das ein weiterer Grund, das Thema Bauen auf der grünen Wiese zu den Akten zu legen. „Dank Homeoffice schlummern in untergenutzten Bürokomplexen satte Potenziale für eine Umwidmung und Umnutzung zu Wohnzwecken. Die Freiflächen können damit weiterhin der Produktion von regionalen Lebensmitteln, dem Klimaschutz, der Artenvielfalt, dem Luftaustausch und der Naherholung unverzichtbare Dienste leisten“, sagt BUND-Regionalgeschäftsführer Gerhard Pfeifer.
Einige Fachleute taxieren angesichts der zunehmenden Homeoffice-Praxis das Potenzial für nicht mehr benötigte Büroflächen auf mindestens 20 %. Umgerechnet auf die ca. 7 Millionen Quadratmeter vorhandenen Büroflächen in Stuttgart entsteht so Platz für rund 28.000 Wohnungen à 50 m². Gerade an kleinen Wohneinheiten herrscht in Stuttgart bekanntlich ein großer Mangel. Auch allein schon wegen wirtschaftlicher Gründe wird diese Entwicklung kommen – kein Büromieter wird sich über längere Zeiten teure, völlig untergenutzte hochwertige Gewerbeflächen leisten.
„Uns ist klar, dass die Transformation von Büro- zu Wohnflächen genehmigungs- und bautechnisch nicht ganz einfach ist und viel planerische Phantasie und Flexibilität erfordert. Insbesondere im Zusammenhang mit IBA 2027 sollte dies ein besonderer Ansporn sein, zukunftsträchtige und modellhafte Lösungen zu entwickeln. Denkbar wären z.B. schnell umsetzbare Wohnzwischennutzungen für Studierende (Pop-up-Prinzip). Im Vergleich zum Bauen auf der grünen Wiese mit erfahrungsgemäß jahrzehntelangen Planungs- und Bauphasen sind dies jedoch relativ geringe Herausforderungen – z.B. entfällt der Neubau der öffentlichen Erschließungsinfrastruktur bei den vorhanden Bürogebieten“, stellt Jürgen Merks, BUND Referent für Flächenschutz, fest.
Die verstärkte Umwidmung von leerstehenden Büroflächen in Wohnraum wäre nach Ansicht des BUND ein Befreiungsschlag für den hiesigen Wohnungsmarkt. Dieses Potenzial ist trotzdem nur als Zusatzfaktor zu werten. Denn schon bisher weist das Konzept Nachhaltiges Bauflächenmanagement Stuttgart (NBS) der Stadtverwaltung kurz-, mittel- und langfristig Bauflächenreserven im Innenbereich von mehr als 500 ha für Stuttgart aus. Auch wenn beim NBS noch nach Wohn-, Misch- und Gewerbeflächen unterschieden wird, schlummern hier genügend Potenziale für die Behebung der bekannten Wohnraummängel. Der BUND hat hierzu in mehreren Veröffentlichungen seit 2012 seine Positionen dargelegt.
Wegen des wohl bleibenden und langfristigen Trends Homeoffice fordert der BUND die Politik auf, umgehend in eine öffentliche Diskussion einzusteigen wie das Leben in Stuttgart zukünftig neu organisiert werden kann. Dabei sollte die Prämisse den Flächenverbrauch von Frischland endlich auf Null zu fahren als unverrückbar gesetzt werden. Pfeifer abschließend: „Geplante Neubaugebiete wie z.B. Am Schafhaus in Stuttgart-Mühlhausen und Mittlere Wohnfahrt in Stuttgart-Hofen sollten sofort gestoppt werden. Dies entspräche auch den landesweit gesetzten Nachhaltigkeitszielen, die Siedlungsentwicklung auf bestehende Baugebiete zu begrenzen.“